Kampf um den Hambacher Forst: An vorderster Front der traurige Rest

Als ehemaliger Gorleben-„Tourist“ verfolge ich das Spektakel um den Hambacher Forst und die geplante Rodung desselben mit dem Ziel, dort Braunkohle im Tagebau abzubaggern mehr oder weniger interessiert. Das liegt zum einen daran, dass man mich von der unbedingten Notwendigkeit eines Kohleausstiegs zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht überzeugen konnte.

Zum anderen ist mir klar, dass es bei solchen Eingriffen in die Landschaft immer um einen Abwägungsprozess geht. Und dass es für das Gebiet eine großzügige Ausgleichsfläche zur Aufforstung gibt. Selbstverständlich ist ein gepflanzter Wald nicht von derselben Qualität wie ein alter Wald. Nur ist mir bei den vorliegenden Informationen auch nicht klar, inwiefern ausgerechnet der Hambacher Forst ökologisch so wertvoll sein soll, dass jegliches anderes legitimes Interesse dahinter bedeutungslos werden soll. Insbesondere, weil von den ursprünglich 4.100 ha schon 3.900 ha gerodet sind. Warum um die letzten verbliebenen 200 ha solch ein Geschiss machen?

Und wenn man sieht, wen die Polizei da aus dem Wald und den Baumhäusern zieht bin ich froh, dass ich mich mit diesen Leuten über eine gemeinsame Sache nicht gemein machen muss. Denn was dort vor die Kamera fällt sind Bauwagen-Hippies und Sinnsucher. Zum Vergleich: in Gorleben war es mein Nachbar.

So lamentiert die Aktivistin in dem einen bekannten Video, dass man ihrem „Baum weh getan“ hätte und dass man auch gleichzeitig „andere Gesellschaftsformen ohne Hierarchie“ usw. ausprobieren möchte. Da weiß man, dass es ihr und vermutlich den anderen Tree-Huggern um eine rationale Bewertung eigentlich nicht mehr geht.

Als man in Gorleben „geschottert“ hat wusste man, dass man sich mit der Staatsgewalt anlegt, die im Zweifelsfall immer den größeren Knüppel als man selber raus holen kann (und darf) und sich einzig und allein nur aus politischer Erwägung heraus in ihrer Gewalt bremst. Eine faire Behandlung wurde erhofft aber nicht erwartet und vor der Reise ins Wendland wurden Broschüren verteilt, die Verhaltensempfehlungen im Falle der Ingewahrsamnahme beschrieben, welche denen für Spione im Feindesland glichen. Telefonnummer der Rote Hilfe inklusive.

Überraschte Reaktionen, wenn man mal vom Polizisten etwas unsanft aus der Blockade herausgelöst wurde gab es wenn überhaupt bei den braven Bürgern vom „x-tausendmal quer“, welche teilweise zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Demo waren und es intellektuell nicht verarbeiten konnten, nicht wie gewohnt König Kunde zu sein sondern herzhaft das Ärmchen vom Wachtmeister verdreht zu bekommen.

Mich hingegen überrascht es, solches Unverständnis heute bei den Aktivist*innen im Hambacher Forst zu beobachten. Wieso man geräumt statt gelobt würde, da man, und nur man selbst, edle Ziele verfolge und darüber hinaus die Gesellschaft als Ganzes verändern (0:56) wolle. Während in Gorleben die Sache eher sportlich gesehen wurde und die Motivation geradezu banal erschien, nämlich gegen Atomkraft zu sein und den Castor so lange wie möglich aufhalten zu wollen, ist für die Hambibleibt-Fraktion das Baumhaus nicht weniger als ein hierarchie- und gewaltfreies Zukunftsprojekt. Selbstverständlich mit einer immensen Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Warum nur jung sein wenn man auch dumm sein kann?

Denn existierende Hierarchien in jedweder Gesellschaft zu leugnen dient letztlich nur der Legitimation inoffizieller Hierarchien und damit unkontrollierter Machtausübung. Auch ist gegen Hierarchien als solches nichts einzuwenden solange sie auf Kompetenz beruhen. Ebenso ist Gewalt nicht grundsätzlich zu verdammen, sofern sie das Recht schützt und die Schutzlosen vor der Tyrannei bewahrt. Aber diese Information haben die Paläo-Ideologen in noch keinem Buch finden können. Lieber führen sie ein Leben voll moralischer Überlegenheit und zeigen mit dem Finger auf uns. Diese toxische Kombination von Ignoranz, Narzissmus, und ahistorischer Gesellschaftskritik ist es, warum ich solchen Vulgär-Ideologen und ihren Absichten misstraue. Trotz aller zur Schau getragener Integrationskraft ist diese Bewegung vor allem eines: antidemokratisch.

Wie verbohrt das Denken bereits ist zeigt der Tod des aus 15 Metern abgestürzten Dokumentaristen, welcher mal als Journalist, mal als Blogger bezeichnet wird. Nicht seine Leichtsinnigkeit ungesichert in die Bäume zu klettern, nicht seine buchstäblich wie sprichwörtlich fehlende Distanz zu den Beteiligten, nicht die Pfuscherei der Erbauer der Hängebrücke durch die er stürzte oder gar als Konsequenz des eigenverantwortlichen Tuns kamen den Aktivisten öffentlich vernehmbar in den Sinn, sondern Polizei, Landesregierung und RWE werden in die Verantwortung genommen. Sie mögen den gefährlichen Einsatz abbrechen und den Wald verlassen. Das ist in der Verdrehung der Zusammenhänge mit der moralischen Reife eines Kleinkindes. Es fehlte nur noch, den Toten als Märtyrer zu bezeichnen und dann wären wir endlich auf dem Niveau islamischer „victimization“ angelangt.

Dass ein linker Widerstand gegen die Zustände in der Welt so erbärmlich ausfällt ist erschütternd, wenn man Veränderungen am Kapitalismus als eine Notwendigkeit betrachtet. Doch statt einer politischen Avantgarde steht an vorderster Front leider der traurige Rest.